Erstbefundung: Regeln und Sonderfälle

Regeln und Sonderfälle bei der Erstbefundung

 

In diesem Beitrag erfährst du, wie du die beiden neuen Erstbefundungs-Einheiten sicher abrechnest.

Wenn dich interessiert, wie du nicht nur organisatorisch sondern auch inhaltlich richtig gut mit dem Ersttermin arbeiten kannst: ich wiederhole das beliebte Web-Seminar „Erstbefundung und Therapieplanung: Checklisten beim Unguis incarnatus“ am 11.10..

Neu ab 01.07.

Ab 01.07. ist der neuen Rahmenvertrag in Kraft getreten, mit einigen Änderungen zu unseren Gunsten. Klar wurden vor allem auf die Preise gelauert, auf den zweiten Blick sind aber einige großartige Neuigkeiten eingebunden worden, die das Leben der kassenzugelassenen Praxen wesentlich vereinfacht.

Drei Neuerungen

Mindestens drei Dinge sind in Richtung Entbürokratisierung umgesetzt:

  • Dass Therapeuten die Lokalisation des betroffenen Nagels selbst in den Bemerkungen ergänzen dürfen (es bleibt dabei: jeder Nagel eine eigene Verordnung)
  • Dass die Abkürzungen auf der Rückseite kurz sein dürfen, wenn sie nachvollziehbar für die konkret erbrachte Leistung sind (keine langen Formal-Sätze)
  • Und dass die Befundzeit flexibilisiert wurde.

Der dritte Punkt sorgt allerdings auch für Verunsicherung, denn mit der Flexibilisierung sind weitere Regelungen verbunden, die auf den ersten Blick einfach und logisch erscheinen, in der Realität aber trickreich sein können.

Was wurde konkret vereinbart?

Die Leistung nach Anlage 1b Teil 2 Ziffer I.1 (Erstbefundung) kann einmalig zu Beginn einer Nagelspangenbehandlungsserie erfolgen.

Eine Behandlungsserie bezieht sich stets auf einen zu behandelnden Nagel und kann mehrere Verordnungen umfassen.

Soweit ein Patient bereits wegen anderer Leistungen (Podologische Behandlung oder andere Nagelspangenbehandlung) in Behandlung ist, ist die „Erstbefundung klein“ mit einer Regelleistungszeit von bis zu 20 Minuten abzugeben.

Ansonsten kann die Leistung „Erstbefundung groß“ abgegeben werden, sie umfasst eine Regelleistungszeit von bis zu 45 Minuten.

Die Erbringung der „Erstbefundung groß“ ist auf eine einmalige Abgabe im Kalenderjahr beschränkt. Quelle 

 

Flexible Zeiten für die Befundung

Tatsächlicher Zeiteinsatz

Die tatsächlich genutzte Zeit spielt für die Abrechnung keine entscheidende Rolle.

Die Einheiten sind als „bis zu“ Zeiten definiert, sodass der Therapeut bis zu 20 oder bis zu 45 Minuten für die Befundung der GKV-Patienten aufwenden kann.

Wenn ein Patient bereits mit einem GKV-Heilmittel in Behandlung ist, wird davon ausgegangen, dass die Anamnese bereits erhoben wurde und nur eine Aufklärung über das neue Heilmittel erforderlich ist. In diesem Fall darf nur die kleine Erstbefundung abgerechnet werden, unabhängig von der tatsächlichen Dauer der Aufklärung. Die Beratung soll „bei Bedarf“ erfolgen, je nach Informationsstand des Patienten.

Ja, es stimmt, die PKB-Patienten sind in der Regel nicht die kompliziertesten UI-Fälle (wenn ich an die Jugendlichen mit Hypergranulation denke). Trotzdem finde ich es schade, wenn unsere Beratungsleistung so „kleingemacht“ wird.

Und ja, im Praxisalltag ist es natürlich toll, wenn man im Zeitdruck auch mal so nebenbei Beraten und trotzdem voll abrechnen kann.

Ich befürchte aber, dass wir damit einen unseren wichtigsten Kompetenzbereich selbst beschneiden: Das medizinische Fuß-Fachwissen ist doch unser „USP“, unser Alleinstellungsmerkmal!

 

Erstbefundung groß: nur optional

Mir ist direkt die Formulierung „Ansonsten kann die Leistung „Erstbefundung groß“ abgegeben werden“ aufgefallen. Alles kann, nichts muss. Abrechnen darf man.

Sicher ist diese weiche Formulierung immer im Interesse der Praxen, weil niemand hinterher Kürzungen vornehmen kann, wenn nicht die 45 Minuten ausgeschöpft oder die kleinere (oder gar keine) Leistung erbracht wurde. Trotzdem bedeutet es umgekehrt im Klartext

„Podologen erledigen das nebenher, wirklich Zeit muss man sich für das Beratungsgespräch nicht nehmen“.

Ist das ratsam?

Ich finde, Verbraucherschutz muss anders aussehen. Außerdem macht eine Therapie mit klaren Rollen mehr Sinn, weil sie die eigene Gesundheitskompetenz stärkt. Zudem werden falsche Erwartungen reduziert und das Ergebnis wird nachhaltiger, wenn die Prognose (und die eigenen Aufgaben dabei) wirklich klar kommuniziert wurden.

Und wir wissen alle: (einmal) gesagt heißt noch nicht verstanden!

Ein Nagel, eine Behandlungsserie

Die Annahme ist: Jeder betroffene UI-Nagel ist krank, und wird vom Podologen mithilfe der Spange geheilt.

Die Behandlung wird einmalig begonnen durch die einrahmende Leistung „Erstbefundung“, das Ende und damit die Heilung markiert das „Spange abnehmen“.

Die Behandlungsserie kann offen enden.

Gründe dafür sind z.B.

  • ein Behandlungsabbruch,
  • weil die 12 Wochen Frist durch andere Gründe überschritten wurde
  • oder weil es doch keine erhoffte Folgeverordnung gab- die ist immerhin eine Einzelfallentscheidung des Arztes.

Es kann sogar sinnvoll sein, offen zu enden, wenn das Therapieziel noch nicht 100 % stimmt und man sich eben schwertut, ein „Ende“ und damit die Heilung zu attestieren.

Begriffsbestimmung: Orientierende Behandlungsmenge

Im Gegensatz zum DFS oder zu anderen Neuropathien ist ein Unguis incarnatus heilbar. Genau darum geht es bei der Spange: die Beschwerden zu lindern und im besten Fall für immer fußgesund zu werden.

  • Bei UI 1 sind 8 Behandlungen als orientierende Behandlungsmenge angegeben,
  • bei UI 2 2×4, also zwei VO mit je 4 Behandlungsterminen (womit auch immer die gefüllt werden). Quelle

Das ist allerdings ein Richtwert zur Orientierung des Arztes und der Ärztin- keine Pflicht oder ein Behandlungsausschluss.

Man (= der gemeinsame Bundesausschuss) geht davon aus, dass das Ziel in dieser Zeit erreichbar ist, bei Bedarf kann ein Verordner jederzeit beliebig viele Folgeverordnungen ausstellen, die zur laufenden Behandlungsserie zählen. Das liegt im Ermessen des Arztes/der Ärztin.

Orientierende Behandlungsmenge

„Orientierende Behandlungsmenge“ bedeutet, dass sich Vertragsärztinnen und Vertragsärzte daran orientieren, aber im Bedarfsfall davon abweichen können.

Bei der Bemessung der orientierenden Behandlungsmenge wurde angenommen, dass diese in der Regel ausreicht, um die Behandlung erfolgreich abzuschließen. (…).“ Quelle

Sonderfälle:

Behandlungsunterbrechungen und Abbrüche

Was tun bei Behandlungsunterbrechungen, oder bei sehr schnellen Rezidiven?

Neue Behandlungsserie – oder Weiterbehandlung ohne Befundung?

Wenn die Behandlung nicht offiziell beendet wurde und nach mehr als 12 Wochen wieder aufgenommen wird, löst das formal eine neue Behandlungsserie aus. Sie beginnt mit einem Erstbefund, um die Behandlung planen zu können.

Nach drei Monaten kann auch tatsächlich eine Menge passiert sein-alles schon erlebt.

Bei einem offenen Ende der letzten Serie stellt sich vielleicht auch die Frage, ob auf einer Folgeverordnung nahtlos weitergearbeitet wird. Eben ohne mit einem Erstbefund zu beginnen, sondern direkt die Termine mit Behandlungen „auszunutzen“.

Das ist ein Sonderfall, der nicht offiziell beschrieben ist. Vielleicht auch gut so!

Die Frage ist eher: wollen wir ohne Befund therapieren? Und damit der GKV vermitteln: Befund und Beratung sind optional?

Es liegt im eigenen Ermessen, und auch an der verwendeten Technik wie es weitergehen soll/kann. Wird eine neue Spange angefertigt oder eine andere Technik gewählt, beginnt eine „komplette“ neue Serie, mit der wieder ein Befund mit Aufklärung und Einwilligung erfolgt.

Abrechnen des Erstbefundes bei Rezidiven

Abrechnen darf man nach dem Wortlaut Heilmittelrichtlinie nach einem Behandlungsabbruch (oder Ende) bei einem Rezidiv im gleichen Kalenderjahr den kleinen Erstbefund, wenn ein Jahreswechsel dazwischenliegt, sogar den großen Erstbefund.

Der Grund macht eigentlich keinen Unterschied: Diagnose ist Diagnose.

Abrechnen von Patienten, die bereits in Behandlung sind

Hier wird zwischen Selbstzahlern und „Rezeptpatienten“ unterschieden.

Bei Patienten mit Verordnung, z.B. über PKB oder bereits laufender Nagelspange, kann immer nur ein kleiner Befund abgerechnet werden- der große wird abgesetzt.

Wenn Patienten bereits privat in Behandlung sind, also keine „GKV-Heilmittelverordnung“ zu dieser Person vorliegt, dann ist die Behandlungsserie eine neue. Der erste Nagel kann den großen Befund bekommen (bzw. der Therapeut kann ihn abrechnen). Jeder weitere in diesem Jahr-kleiner Befund.

Zusammenfassung:

Die Neuregelung der Zeiteinheiten für die Erstbefundung erleichtert den Praxen die Terminvergabe, und lässt mehr Raum für die Behandlung. Sie ermöglicht mehr Patienten den Zugang zur Spangentherapie. Das finde ich richtig toll!

Noch besser finde ich, dass die Angst vor dem Damoklesschwert Absetzung und Termin-Kontrolle damit abgeschafft wurde.

Außerdem ist es wirtschaftlich interessant; Zeit ist nun einmal Geld.

Ich bin aber auch ein bisschen wehmütig: die Freiheit werden wir in einer anderen Währung bezahlen.

Unsere Beratungsleistung, die Darstellung der wertvollen Therapie, die Nachhaltigkeit des Behandlungsergebnisses durch Eigenkompetenz unserer Patientinnen- das alles kann zu kurz kommen.

Und einmal Luft zu holen und die Hände (und den Motor) ruhen zu lassen, während man berät, ist obendrein noch eine kleine gesunde Pufferzone, die uns vor der Arbeitsverdichtung schützt.

 

Was sind deine Gedanken dazu? Lass es mich wissen, und schreib hier gerne in die Kommentare!