Ist jede Autoimmunerkrankung eine Neuropathie?
Aktuell gibt es ca. 80-100 bekannte Autoimmunerkrankungen.
Mit den neuen NF / QF Verordnungen sind viele Möglichkeiten zur Behandlung geschaffen worden.
Kann jeder Patient mit einer Autoimmunerkrankung eine Verordnung bekommen?
Was sind Autoimmunerkrankungen?
Bei Autoimmunerkrankungen entwickelt der Körper durch verschiedene, häufig unspezifische Auslöser Autoantikörper, die ihre Autoimmunreaktion gegen körpereigenes Gewebe richten.
Die Folge sind entzündlich-degenerative Gewebeschäden, entweder auf ein Organ oder eine Gewebegruppe begrenzt bleiben („organisch“) oder systemisch den gesamten Körper befallen („systemisch“). Bis auf wenige Ausnahmen (wie z.B. Typ-1 Diabetes) verlaufen Autoimmunerkrankungen chronisch-schubförmig.
Eine Ursächliche Behandlung und damit eine Heilung gibt es nicht.
Die Entzündungen werden mit immunsupprimierenden Medikamenten und Kortikosteroiden unterdrückt, bei schweren, systemischen Verläufen (z.B. bei MS oder GBS) können auch Plasmapherese oder Immunglobuline notwendig werden.
Eine abschließende Liste bzw. genaue Einteilung mit einer trennscharfen Zuordnung gibt es nicht in jedem Fall.
Ist jede Autoimmunerkrankung eine Neuropathie?
Nein: Unter den 80-100 Autoimmunerkrankungen gibt es einige, die keinen Bezug zum Fuß und keine begleitende Neuropathie haben. Jedenfalls nicht sofort!
Organische Autoimmunerkrankungen, z.B. der Schilddrüse (Basedow und Hashimoto) oder M. Crohn und Colitis ulzerosa können langfristig mit Mangelversorgung und Neuropathie einhergehen. Auch Gelenkrheuma kann durch starke Umbauprozesse im Fuß die Biomechanik so verändern, dass Folgeschäden drohen- aber liegt immer eine Neuropathie vor? Auch der Typ-1 Diabetiker bruacht (hoffentlich) Jahrzehnte, bis Komplikationen auftreten.
Man kann also nicht automatisch davon ausgehen, dass jede Autoimmunerkrankung eine NF-Behandlung begründet.
Wer soll behandelt werden?
In der Heilmittel-Richtlinie werden beispielhaft die ICD-10 Codes G 60-G 64, Polyneuropathien und sonstige Krankheiten des peripheren Nervensystems angeführt.
Andere Codes sind möglich, erfordern aber einen genauen Bezug. Hier ein Beispiel:
Es wird also schon bei rheumatischen Autoimmunerkrankungen tricky.
Wenn man auf Nummer Sicher gehen und die G60-G64 Codes nutzen möchte, muss zuerst die Diagnose Neuropathie gestellt werden, und dann der Querverweis auf die Ursache erfolgen (Weichteil oder Muskel-Skelett?).
Ist Psoriasis eine Neuropathie?
Psoriasis ist zwar eine Autoimmunerkrankung, Betroffene müssten aber zusätzlich noch eine nachgewiesene Neuropathie mitbringen.
Das kann der Fall sein, z.B. bei schweren Verlaufsformen der Psoriasis Arthritis- kann, muss aber nicht.
Ohne Neuropathie-bedingte Folgeschäden am Fuß erfolgt die Behandlung auf Risiko des Podologen/der Podologin.
Ist ein Schlaganfall eine Neuropathie?
Ein Apoplex, also ein ischämischer oder hämorrhagischer Hirninfarkt führt in der Regel zu einer Halbseitenlähmung. Die Ursache liegt immer im Gehirn! Hier ist also weder das periphere Nervensystem betroffen (NP), noch das Rückenmark (QF).
Wenn Schlaganfall-Betroffene zusätzlich unter einer Neuropathie leiden, kann Podologie verordnet werden, z.B. durch eine Critical-illness-Polyneuropathie nach längerem Aufenthalt auf der Intensivstation oder einer Koma-Phase.
Ist MS eine Neuropathie?
MS ist eine Autoimmunerkrankung, eine ziemlich schlimme sogar:
Multiple Sklerose, auch als Encephalomyelitis disseminata bezeichnet, zerstört die Myelinscheiden der Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark, und verursacht multiple Entmarkungsherde.
Dadurch reduziert sich die Übertragungsgeschwindigkeit von Nervenimpulsen und das hat Ausfallerscheinungen, schlaffe und spastische Lähmungen zur Folge (neben unzähligen anderen Symptomen).
MS ist zwar eine systemische Autoimmunerkrankung, aber keine Polyneuropathie.
Wenn Folgeschäden am Fuß drohen, sollte die Verordnung auf QF ausgestellt werden (außer es liegt zusätzlich eine Neuropathie für ein “NF” vor).
Fazit
Die Diagnose einer „Autoimmunerkrankung“ alleine ist noch keine hinreichende Begründung für die podologische Behandlung.
Die Indikation muss immer den drohenden Folgeschaden am Fuß durch eine Neuropathie, Querschnittssyndrom oder Diabetische Neuropathie benennen und einen Bezug zur Grunderkrankung herstellen.
Selbst wenn aktuell Verordnungen ohne weitere Prüfung abgerechnet und ohne Beanstandung vergütet werden, bleibt dennoch ein Unsicherheitsfaktor: die Kassen haben immerhin mehr als 4 Jahre Zeit, Nachforderungen bei „Abrechnung nicht erlaubter Leistungen“ geltend zu machen. (Quelle: Rahmenvertrag, Seite 27 oben mit Verweis auf SGB I § 45 “Verjährung”)
Deshalb hier die klare Empfehlung: lass dir Verordnungen für NF auf die Codes G 60-G 64 ausstellen und mit dem Zusatz „Krankhafte Schädigung am Fuß als Folge einer sensiblen oder sensomotorischen Neuropathie (primär oder sekundär)“ ergänzen.
Wenn dich das Thema Neuropathie aus einem anderen Blickwinkel interessiert, dann schau dir die Fortbildung zu “Neuropathischen Schmerzen” an:
Hier geht es um unspezifische Symptome in den Anfangsstadien der Neuropathie, in denen Podologinnen und Podologen einen wesentlichen Beitrag zur Prävention leisten können! Ursachen für NF wie Small-Fiber NP und Critical-Illness-PNP werden besprochen;
Dazu bekommst du praktische Behandlungs-, Diagnostik und Beratungsmöglichkeiten an die Hand mit denen ich bereits gearbeitet habe, die du ganz konkret in deiner Praxis anwenden kannst.
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